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Wir werden wichteln!

Es ist doch jedes Jahr das gleiche Leid: Kurz vor Weihnachten kommt irgendein verhasster Kollege auf die Idee des Wichtelns, alle beugen sich ihrem Schicksal und willigen ein, einzig ein rationaler Konfuser, der sich gegen den Materialismus auflehnt, wird überstimmt. Es ist doch jedes Jahr das gleiche Leid: Man selbst zieht das Los eines nahezu komplett unbekannten Menschen, verzweifelt am Suchen eines passenden, persönlichen Geschenks und ist, sofern dieses Suchen nach langer Zeit schließlich in ein Finden resultiert, meist der Überzeugung, einen absoluten Knaller erworben zu haben. Diese Überzeugung wird allerdings spätestens bei der Bescherung restlos vernichtet. Wie grauenhaft fühlt man sich, wenn man während des Auspackens in das komplett verstörte und entgeisterte Gesicht des Beschenkten sieht. Trotz seines Missmutes bedankt er sich und versprüht eine unheimlich ungemütliche Pseudo-Glücklichkeit, die er garantiert Tage zuvor am Spiegel eingeübt hat. Vielleicht ist das ein Hilfsmittel, um mit solchen herben Enttäuschungen besser umgehen zu können. Man selbst fällt jedoch auf diesen Trug und Schein nicht herein. Skeptisch spricht man den Gelosten mit der Floskel „Wenn es dir nicht gefällt, kannst du es gerne umtauschen. Ich habe die Quittung noch.“ an. Doch auch das erzielt meist keine Wirkung. „Nein, ich finde es prima!“ lautet die etwas verzagte Antwort. Ein solcher Satz kann - zumindest beim Wichteln - nur von einem Lügner stammen.

Das Wichteln ist allgemein eine große Lüge, ein erbärmlicher Versuch, die Gemeinschaft zu stärken, was jedoch häufig das exakte Gegenteil bewirkt. Auch meine Wichtelgeschenke waren bisher stets absolute Katastrophen. Vor drei Jahren erhielt ich einen armseligen Taschenwärmer, danach eine Tasse, die in einer Supermarktkette ab einem Einkaufswert von 30 Euro kostenlos ausgegeben wurde, gefüllt mit Süßigkeiten, die ich nach meiner Lebenseinstellung nicht esse. Im letzten Jahr wurde mir ein Buch geschenkt: ein sogenannter Jugendthriller, auf dessen erster Seite zweimal das Wort „Scheiße“ auftauchte.

Um in diesem Jahr dergleichen zu vermeiden, habe ich einen genauen Leitfaden für meinen Schenker erstellt, der meine Vorstellungen bezüglich Verpackung und Präsent präzise schildert. Diesen Zettel ließ ich an den Anonymen übergeben.

Mir hingegen wurde das erste Mal eine vertraute Person zugelost. Diejenige, die mir einst die Tasse samt Inhalt schenkte. Diese Tasse, die sich stolz in die Liste der jämmerlichsten Schenkungen einreiht und auf der sich seit Jahren im Schrank Staub schichtet, wird nun aus reiner Gehässigkeit „zurückgeschenkt“. Immerhin fördert ebendies nicht den blinden Konsumerismus, den ich - besonders in den Tagen rund um Weihnachten - so harsch tadele.

Und trotz meines Unwillens steht eines fest: Wir werden wichteln. Wie wundervoll!

Auf baldiges Wiedersehen!

S. Klein

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