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Einsam in der Dunkelheit (Teil 2)

EPISODE 9 Originaltext

Der zweite Teil der Martinsfeuer-Dilogie handelt vom Entzünden des Feuers. Warum ich melan­cho­lisch durch das Dorf zog und wie ich in tiefsinnigen Gedanken über das zukünftige Leben denke, lest ihr im Folgenden. Es wird empfohlen, beide Teile der Dilogie als Gesamtbild zu werten.

© Sebo Klein, 2015

Freitag, 17:00 Uhr: Ich sah gebannt in die Leere. Der Scheibenwischer bewegte sich sekündlich, aus kleinen Tropfen wurden lange Streifen, die sich über die Frontscheibe zogen. Es wurden immer mehr. Der Weg bis zum Martinsfeuer war nicht mehr weit. Auch wenn ich den Platz zu Fuß hätte erreichen können, zog ich es vor, gefahren zu werden. Das Wetter war grauenhaft: Es regnete leicht, der Wind peitschte über das Land, es war kühl und nass. Trotzdem wollte ich mir den Abend dort nicht entgehen lassen. In einer Stunde sollte das Gerüst, das ich mit vielen anderen Helfern mühselig erbaut habe, in Flammen aufgehen und zahlreiche Kinderaugen erfreuen. Bald sollte ein gigantischer Feuerhaufen harmonisch flackernd Licht und Wärme spenden.

Ich hatte das Ziel erreicht, öffnete die Autotür, stieg aus. Vor mir sah ich das Gestell, das imposant in den dunkelgrauen Himmel ragte. Der Wagen fuhr ab. Zwei andere Helfer, die auf das Anzünden warteten, machten sich bemerkbar. Sie hatten Unterschlupf in einem Strohhaufen im Inneren des Martinsfeuer gefunden. Ich gesellte mich zu ihnen. Es war erstaunlich, wie schnell sich in diesen Massen getrockneter Halmen wohlige Wärme ausbreitete – einzig meine Nase fror. Ich verweilte dort einige Zeit, machte es mir bequem, lehnte mich zurück. Die anderen beiden sendeten kontinuierlich Sprachnachrichten per Smartphone und hörten sich die Antworten der „Gesprächspartner“ an. Ich blickte in die Landschaft, auf die Wiesen und Wälder und auf winzig kleine Lichtpunkte, die wohl Straßenlaternen im entfernten Dorf sein mussten. Man konnte regelrecht zuschauen, wie die Umgebung beinahe minütlich dunkler wurde. Nach einer halben Stunde waren wir auf die Handy-Taschenlampen angewiesen. Ich grub mich immer tiefer in den Strohhaufen. Schon bei der kleinsten Bewegung knisterte es – und dieses Knistern strahlte eine unglaubliche Gemütlichkeit und Geborgenheit aus.

Diese herbstliche Harmonie wurde abrupt zerstört, als die ersten Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr vorfuhren. Mir war bewusst, dass es jetzt ernst wurde. Die letzten Vorbereitungen wurden getroffen, das Gerüst wurde geprüft, rot-weißes Absperrband wurde weiträumig darum gespannt. Ein Mitglied der freiwilligen Feuerwehr steckte mir eine Wachsfackel in die Hand. Alle sammelten sich wenige Meter vor dem Gestell, um diese Fackeln anzuzünden, was (des Windes wegen) nicht ganz unkompliziert war. Als auf allen Stäben eine kleine Flamme thronte, gingen wir zum Strohhaufen und übertrugen das Feuer. Das Stroh entflammte binnen weniger Sekunden. Dann ging alles sehr schnell. Das Feuer fraß sich immer tiefer in den Haufen. Es bildete sich eine gigantische Rauchwolke. Hustend flüchteten wir aus der Gefahrenzone und stellten uns ordnungsgemäß hinter das Absperrband. Es dauerte nicht lange, bis das gesamte Gerüst Feuer gefangen hatte. Ich hörte die Blaskapelle, die den Marsch der Kinder zum Martinsfeuer musikalisch untermalte. Wir hatten es gerade zur rechten Zeit entfachen lassen.

Das Feuer brannte lichterloh. Ich sah sogar „meine“ glühenden Paletten. Es knisterte und knackte, der Wind spielte mit den Flammen und schubste sie abwechselnd in alle Richtungen. Mein Gesicht wurde von Wärme überflutet, mein Rücken blieb kalt. Im lodernden Licht sah ich neben den Kindern auch ein Paar, das sich innig umschlang, das voller Leidenschaft das auslebte, was das Feuer ihnen vormachte. Ich stand alleine vor den Flammen, hielt mich am Flatterband fest. Ich schloss die Augen und dachte nach, dachte an mich und meine Zukunft. Werde auch ich jemals solche Gefühle in meinem Leben erfahren? Werde ich auch jemals einen Menschen auf dieser Welt lieben? Und wird es eine Person geben, die einem rationalen Konfusen in die Arme fallen möchte? Werde ich doch auf ewig einsam bleiben?

Fragen über Fragen, deren Antworten mir in diesem Moment nicht einleuchteten – und wahrscheinlich war es auch besser, dass ich in dieser Ungewissheit verblieb. Dennoch war ich fest entschlossen, dass sich auf dieser großen, weiten Welt irgendwo ein passender Mensch für mich befand, irgendjemand, der mit mir (metaphorisch betrachtet) sein Leben teilen wöllte. Trübselig ließ ich meinen Kopf sinken.

Ich ging mehrere Schritte zurück, sodass mich die abendliche Kälte wieder umrang. Warum wurde mir erst in solchen Situationen bewusst, wie alleine ich auf dieser Erde doch bin? Diese Einsamkeit konnte so sehr schmerzen – so gerne ich sie auch habe. Der Gedanke, meine gesamte Zeit alleine zu verleben, war unerträglich.

Mit einem lautstarken Krachen fielen Teile des Gerüsts in sich zusammen. Ich öffnete die Augen. Das einst imposante Martinsfeuer ähnelte nunmehr einem unkultivierten Feuerhaufen. Ich schaute mich um. Außer einigen Fachkräften der hiesigen Feuerwehr waren keine anderen Menschen zu sehen. Wie lange stand ich schon hier? Ich beschloss, mich auch auf den Weg nach Hause zu machen. Als ich die geteerte Strecke in Richtung Dorf schon einige 100 Meter hinuntergegangen war, blickte ich ein letztes Mal zurück. Von dem gigantischen Feuer war nur noch ein orangefarbener Abendhimmel und eine große Rauchwolke hinter den kahlen Baumkronen zu sehen.

Während ich schnellen Schrittes die Straße hinabging und zahlreiche fremde Kinder mit deren Eltern überholte, erblickte ich im Augenwinkel auch ein vertrautes Gesicht. Neben mir war einer der Helfer, die anfangs mit mir im Strohhaufen lagen. Folgender Dialog kam zustande:

Er: Ein schöner Abend, oder? Willst du auch nächstes Jahr wieder helfen?

Ich: Ja, alleine um mir mit der Gewissheit, dass das unter anderem mein Werk ist, am Feuer die Hände zu wärmen.

Er: Knapp zwölf Stunden schuften, nur damit sich die Kinder das Ding zehn Minuten lang angucken. Eigentlich viel zu viel Arbeit. Schon in wenigen Stunden ist alles abgebrannt. Dann ist alles weg.

Ich: Ja, so ist es aber mit allem auf dieser Welt. Auch wir sind viel Arbeit und letztlich irgendwann ebenfalls nicht mehr da. Vergänglichkeit nennt man das.

Die Wege trennten uns. Ich schlenderte nachdenklich und in tiefste Gedanken versunken entlang einer unbeleuchteten Seitenstraße. Ich ging allein – einsam in der Dunkelheit. Und vielleicht sollte das auch immer so bleiben.

Somit gelangen wir ans Ende dieses Nachdenktextes und gleichzeitig ans Ende der Martinsfeuer-Dilogie. Über Rückmeldungen, Kommentare und Kritik zu dieser Beitragsserie im Gästebuch freute ich mich sehr. In zwei Wochen erwartet euch noch ein poetischer Kurzbeitrag zu diesem Thema. Ansonsten geht es nächstes Wochenende mit einem Eintrag zu Smartphones weiter.

Bis dahin:

Auf baldiges Wiedersehen

S. Klein

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