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Ein Nikolaus der Grausamkeit

„Nik'laus, komm in unser Haus!“ heißt es in einem beliebten Kinderlied, das viele jungen Menschen in den letzten Tagen wohl gesungen haben. Ich hingegen bin äußerst erleichtert, dass dieser Vers in unserem Haus schon seit mehreren Jahren nicht mehr den Wünschen entspricht. Es ist nicht so, dass ich diese Tradition verabscheue. Vielmehr konnte ich mich noch nie mit der Figur des Nikolauses anfreunden - und damit meine ich nicht dessen Körperstatur, sondern sein Auftreten. In Kindertagen hatte ich stets Angst und Respekt vor dem Mann mit dem goldenen Buch, Bischofsstab und Mitra und flüchtete meistens ehrfürchtig hinter unser Sofa. Stellenweise war mir selbst Knecht Ruprecht in seinen schwarzen Lumpen sympathischer als der Herr in Rot. In den letzten Tagen wurde mir erneut schmerzhaft bewusst, wie sehr ich doch vom Heiligen Nikolaus abgeneigt bin.

Schon seit einigen Jahren bietet unsere Schule in den Tagen vor dem Nikolausabend an, Schokoladenfiguren in Form des Bischofs an andere Schüler zu schicken. Man bezahlt eine gewisse Summe und füllt ein Kärtchen mit Adressat, Klasse und kurzer Botschaft aus. Am 7. Dezember werden ebendiese „bestellten“ Nikoläuse in den Klassen verteilt. So auch dieses Mal.

In den letzten fünf Jahren hatte ich noch nie einen Nikolaus erhalten und war in vielerlei Hinsicht stolz darauf. Fest war ich davon überzeugt, dass sich diese Siegesserie auch im Jahre 2015 fortsetze. Dazu muss gesagt werden, dass ich ohnehin mit dieser als Mensch geformten Süßigkeit nicht viel anstellen kann, schließlich handelt es sich um eine Figur aus Vollmilchschokolade und ich bin Veganer. Außerdem finde ich es relativ perfide, jemandem den Kopf abzubeißen. Umso erstaunter war ich, als beim Verteilen der Nikoläuse mein Name aufgerufen wurde. Bass schockiert, wer mir törichterweise einen der solchen geschickt hatte, fragte ich, ob man ihn nicht reklamieren könne. Was sollte ich schließlich damit? Diese Anmerkung blieb jedoch (bewusst) unbeachtet. Auf meinem Tisch wurde ein Exemplar, woran eine Karte mit meinem Namen und einem großen Herzen klebte, abgestellt.

Da stand er nun, dieser erbärmliche Nikolaus: in umweltschädlicher Silberfolie umhüllt, voller Hass und Missgunst gefüllt. Der Absender musste einer meiner Feinde gewesen sein - und davon gab es einige in der Klasse. Meistens bestand eine Art charmante Hassliebe zwischen mir und den Betroffenen - nur ohne Liebe. Gegenseitiges, stilvolles Veralbern war keine Seltenheit. Der Scherz mit der Schokolade jedoch war kein Spaß, sondern eine harsche Beleidigung an mich und meine Lebensweise, eine unbändige Skrupellosigkeit, die ich nicht für möglich gehalten hätte, letztlich eine Aktion, die von mutwilliger Intoleranz und Unverständnis zeugte. Welche Ausgeburt der Hölle, welches Werk des Teufels, welches Kind der Dämonen möge mir nur eine solche Dreistigkeit geschenkt haben?

In mir mobilisierten sich ungeahnte Kräfte. Rasch flog der Nikolaus nach einem kräftigen Stoß unter einen freien Tisch - beobachtet von den kritischen Augen meines Lehrers, der das Szenario kopfschüttelnd musterte. „Das ist doch ein Geschenk!“, meinte ebendieser. Darauf erwiderte ich, dass ich dieses „Geschenk“ wohl mit deutlich geringerer Gehässigkeit behandele, als der Versender hineingesteckt hätte.

Im späteren Verlauf des Tages kam es dazu, dass sich den Nikolaus (nach meiner dankbaren Einwilligung) eine andere Person aus der Klasse aneignete. Somit war dieses vorweihnachtliche Problem vorübergehend gelöst. Die Abneigung gegen den Nikolaus hingegen wurde erneut enorm bestärkt.

Auf baldiges Wiedersehen

S. Klein

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