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Das schönste aller Weihnachtsfeste

In diesem Beitrag berichte ich vom diesjährigen Weihnachtsfest und wie ich ebendieses erlebt habe. Im Folgenden erfahrt ihr, warum ich mich ausgerechnet an diesem Tag fremdschämen musste und wie durch kleine Taten der Zusammenhalt der Familie gestärkt wurde. Für Rückmeldungen und Kritik zu diesem Text bietet sich das Gästebuch an.

Heilig Abend, morgens, sieben Uhr: Durch die Dunkelheit des Zimmers schallten Worte eines Nachrichtensprechers. Selbst an Feiertagen ging mir mein Radiowecker durch diese Weise auf seinesgleichen. Verschlafen schlug ich verschiedentlich* gegen die Wand. Ungewohnt lange dauerte die Suche nach dem Lichtschalter. Als ich ihn endlich erreicht hatte, flutete Licht mein Gesicht und vernichtete jedwede Chance des Weiterschlafens. Ich stand notgedrungenermaßen auf, passierte den Flur und trat in das beheizte Badezimmer ein.

Der Grund des „frühen“ Aufstehens war eine zweistündige Fahrt zu Verwandten, die wir antreten wollten. Schon vor mehreren Monaten wurden wir eingeladen, den Heiligen Abend bei Großmutter, Onkel, Patentante, Vetter und Base** im Ruhrgebiet zu verbringen. Und ich freute mich sogar ein bisschen darauf, schließlich wusste ich genau, dort auch dieses Mal wieder (als Veganer und Mitmensch) mit offenen Armen empfangen zu werden.

Nach dem Duschen griff ich nach meinem Lieblings-T-Shirt und zog mir eine ordentliche Hose an. Immerhin wollte ich gut gekleidet sein, wenn mir beim Auspacken der Geschenke die Gesichtszüge entglitten. Das Schlimme am Weihnachtsfest in diesem Jahr war, dass ich nicht exakt wusste, welche Geschenke mich erwarteten. Vor den Festtagen zuvor konnte ich die Auswahl der Presente anhand meiner Wunschliste und dem E-Mail-Verkehr meiner Eltern penibel rekonstruieren. In diesem Jahr jedoch mussten sie wohl in der realen Welt eingekauft haben.

Solche Überraschungen mag ich nicht. Sie sind so unerwartet - und meistens ernüchternd. Glücklicherweise ist dieses Themengebiet zumindest in unserer Familie eine Nebensächlichkeit. Hauptaugenmerk liegt bei uns traditionell auf dem Zusammensein und der Gemeinschaft. Dass wir damit eine der letzten unserer Art sind, stört keinen.

Die letzten Vorbereitungen wurden getroffen, was sich wie erwartet erneut in ungeahnte Längen ausdehnte, bis wir schließlich um zehn Uhr das Auto betraten und fahren konnten. Wegen mangelnder Staus und Baustellen erreichten wir unser Ziel sogar einige Minuten vor den prognostizierten zwei Stunden. Nachdem wir freund- und herzlich empfangen wurden und unsere Schlafgemächer auf dem Dachboden eingerichtet hatten, wollten bzw. mussten alle dem Krippenspiel in einer lokalen Kirche beiwohnen. Eine ganze Stunde zuvor schon mussten wir uns auf den Weg machen, um dort einen guten Sitzplatz zu ergattern. Das war wohl einer der größten Unterschiede zwischen der städtischen und dörflichen Kirche, von denen ich nur letztere gewohnt bin. Als die Wartezeit, die durch Gesungenes eines Kinderchors untermalt wurde, verstrichen war, wurden Scheinwerfer eingeschaltet, die eine kleine Bühne beleuchteten. Auf die weiße Rückwand wurde die Kulisse projeziert. Dann zogen zwei Kinder, die wohl Maria und Josef darstellen solten, durch den Gang der Kirche und betraten die Bühne. Das Krippenspiel begann. Über die schauspielerischen Leistungen werde ich keine großen Worte verlieren müssen. Sie waren schlicht und ergreifend grauenhaft - und selbst das ist noch äußerst euphorisch ausgedrückt. Dialoge wurden nicht gespielt, sondern monoton wiedergegeben, Mimik und Gestik ähnelten der eines Lumpensackes. Allzu blamabel*** war die Vorstellung zwar nicht, die Kinder waren immerhin noch sehr jung, aber ein derart gigantischer Applaus, wie ihn die Kirchenbesucher nach dem Spiel an den Tag legten, war nicht gerechtfertigt. Vielleicht war ich auch einfach zu kritisch.

Nach diesem Akt des Fremdschämens marschierten wir wieder nach Hause: Die Bescherung stand auf der Tagesordnung. Nachdem alle Pakete, Päckchen, Tüten und sonstige Geschenkverpackungen unter dem reichlich dekorierten Tannenbaum abgelegt worden waren, ging es ans Auspacken. Da ein neuer Brauch eingeführt werden sollte, mussten alle Teilnehmer vorher würfeln. Derjenige, der zuerst sechs Augen auf der Würfeloberfläche sah, durfte mit dem Entkleiden seines ersten Geschenks beginnen. Ich wusste genau, dass mir diese Zahl kein Glück bringen könnte. Und ich behielt damit Recht: Die erste Sechs wurde von mir gewürfelt. Ich schaute unter den Baum. Das Ausmachen meiner Geschenke war nicht besonders kompliziert, da sie sich farblich recht drastisch von den anderen Presenten absetzten. Sie waren (nach meinem Wunsch) in mehreren Schichten Zeitungspapier eingepackt. Ich wählte das größte aus und nahm es auf den Schoß. Langsam und behutsam öffnete ich die Klebestreifen, die das Papier in der richtigen Position hielten. Die Freude beim Erblicken des Verborgenen war groß: Ein Brettspiel, das ich mir schon lange anschaffen wollte. Ich bedankte mich glücklich. Es war eine inwendige Freude, äußerlich sah man keinen Unterschied zum beschämten Sebo aus der Kirche. Das war allerdings bei den meisten meiner Gefühlszuständen der Fall. Desweiteren erhielt ich ein weiteres Brettspiel, einen Füller, ein Nostalgie-Blechschild und einen halben DVD-Abspieler. Die andere Hälfte wurde meiner Schwester geschenkt (selbstverständlich war das Gerät nicht in der Mitte geteilt, sondern ein Geschenk an uns beide). Ich war restlos zufrieden, denn auch die von mir Beschenkten waren glücklich - oder spielten es zumindest authentisch.

Nachdem Geschenk- und Zeitungspapier mit jedweden anderen Verpackungsresten ensorgt wurde, ging es ans Essen. Für mich wurde ein veganes Gericht der Extraklasse aufgetischt. Geröstete Kartoffelscheiben, milder Couscoussalat und Gemüseauflauf: gemeinsam ein phänomenaler Gaumenschmaus. Schön, dass ich mit meiner Lebensweise und Ernährungseinstellung hier so geachtet wurde.

Als alle Teller ausgegabelt****, alle Gläser ausgetrunken und alle Mägen gesättigt worden waren, sollte der Abend mit Spielen ausklingen. Und da die Spielekonsole, die mein Vetter unter dem Weihnachtsbaum gefunden hatte, (glücklicherweise) nicht direkt funktionierte, griffen wir auf meine neuen Brettspiele zurück. Und obwohl die meisten das Spielprinzip zunächst äußerst kritisch betrachteten, war nach der ersten Testrunde ein jeder restlos davon begeistert. Selbst die Gelegenheitsspieler erfreuten sich sehr an der analogen Unterhaltung, in der ich als Spielleiter glänzte. Noch bis Mitternacht spielten und lachten alle gemeinsam. Es war eines der schönsten Weihnachtsfeste meines gesamten Lebens.

Das war's wieder mit der heutigen Anekdote zum Weihnachtsfest. In zwei Tagen könnt ihr euch auf den letzten Beitrag dieses Blogs in diesem Jahr freuen: einem Jahresrückblick mit Nachdenktext zu Silvester.

Bis dahin:

Auf baldiges Wiedersehen

S. Klein

* mehrmals

** Cousine (veraltet)

*** beschämend

**** Neologismus zu auslöffeln

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